„Mehr eigene Projekte, mehr Selbstwirksamkeit, andere Erfahrungen“

Lehrkräfte und Schulsozialarbeiterinnen, die sozialgenial-Projekte umsetzen, erleben motiviertere Schülerinnen und Schüler, die von Selbstwirksamkeit profitieren und Erfahrungen machen, die der normale Unterricht nicht ermöglicht. Doch das bestehende System der Wissensvermittlung lässt wenig Freiheit für solche Projekte. Drei Lehrkräfte und Sozialarbeiterinnen berichten, wo sie den Raum für sozialgenial finden und warum sich das für sie lohnt.

 

„Wegkommen von starren Lehrplänen“

Eike Garlichs ist Lehrer für Wirtschaftswissenschaften und Sport an den Kaufmännischen Schulen Rheine. Mit seinem Kollegen Claus Schrichten leitet er die zwei sozialgenial-Kurse am Beruflichen Gymnasium.

Was ist für Sie das Besondere am Service Learning, wo liegt für Sie der Mehrwert gegenüber anderen Unterrichtskonzepten?

Der größte Mehrwert besteht darin, dass die Schülerinnen und Schüler Projekte umsetzen können, die sie wirklich interessieren – irrelevant, ob es aktuell im Lehrplan steht oder nicht. Dadurch sind sie intrinsisch motiviert. Das geht über den normalen Fachunterricht hinaus und führt dazu, dass sie sich sozial engagieren und etwas für sich und die Gesellschaft tun.

Sie nutzen den Wahlpflichtbereich, um Service Learning umzusetzen. Was hindert Sie daran, Service Learning direkt im Fachunterricht umzusetzen?

An unserer Schule werden im Wahlpflichtbereich für die Engagementprojekte keine Noten vergeben. Die Schülerinnen und Schüler wissen: Das ist etwas für mich selbst und die Gesellschaft. Ich gestalte das Projekt so, wie ich es gern möchte. Das ist ein ganz entscheidender Punkt und deshalb finde ich es sinnvoll, Service Learning im Wahlpflichtbereich anzubieten. Der Fachunterricht hingegen ist zeitlich sehr eng getaktet, sodass sozialgenial nicht ausreichend Raum gegeben werden könnte.

Wie müsste sich Schule verändern, damit Service Learning zur Selbstverständlichkeit wird?

Eine Idee könnte sein, das starre Festhalten an Lehr- und Stundenplänen ein wenig zu lockern. Es wäre zu visionär und revolutionär gedacht, dieses in seiner Gesamtheit ganz aufzulösen, aber wenn die Schülerinnen und Schüler beispielsweise einen Tag in der Woche hätten, an dem sie Projekte umsetzten könnten, zu denen sie Lust haben – mit leichten Impulsen von uns Lehrkräften in Richtung Service Learning –, könnte ich mir vorstellen, dass es selbstverständlicher wird. Unsere Schule macht da schon viel und unsere Schülerinnen und Schüler sind sehr aktiv. Daher sind soziale Projekte im Leitbild unserer Schule als Beispiel für soziales Handeln verankert und viele Lehrkräfte unterstützen das.

 

„Das Beste ist, dass alle profitieren“

Nicole Bondaug ist Schulsozialarbeiterin an der Heinrich-Heine-Gesamtschule in Dreieich-Sprendlingen in Hessen. Zusätzlich unterrichtet sie den Kurs „Service Learning – Lernen durch Engagement“.

Was ist für Sie das Besondere am Service Learning, wo liegt für Sie der Mehrwert gegenüber anderen Unterrichtskonzepten?

Für mich ist das Beste am Service Learning, dass alle davon profitieren: Schülerinnen, Schüler und auch die außerschulischen Partner, für die die Projekte gemacht sind. Es ist eine Bereicherung für alle. Sich zu engagieren macht selbstsicher: Die Schülerinnen und Schüler lernen sich sehr gut kennen und bewältigen Herausforderungen, die sie im schulischen Alltag nicht haben. Natürlich sind gute Noten auch ein Lob und eine Anerkennung für das Lernen, aber beim Service Learning geht es um die menschliche Ebene, das konkrete Feedback, etwas Sinnvolles für die Gesellschaft zu tun und wertgeschätzt zu werden, das ist was ganz anderes. Die außerschulischen Partner profitieren von sozialgenial, weil die Schülerinnen und Schüler Themen recherchieren, für die es einen Bedarf gibt. Deshalb freuen sie sich über das Engagement. Auch die Schulleitung findet das toll, weil es den Ruf der Schule noch mal verbessert.

Sie nutzen den Wahlpflichtbereich, um Service Learning umzusetzen. Was hindert Sie daran, Service Learning direkt im Fachunterricht umzusetzen?

Mich persönlich hindert mein Beruf daran, ich bin Sozialpädagogin. Für mich ist Service Learning ideal, denn es vereint soziale Arbeit und Beziehungsarbeit. Es gibt aber auch Kollegen, die das im Fachunterricht machen, zum Beispiel im Religionsunterricht. Die Frage ist, ob der Lehrplan da noch Raum lässt.

Wie müsste sich Schule verändern, damit Service Learning zur Selbstverständlichkeit wird?

Es müsste weniger um Wissensvermittlung, sondern eher um Erfahrungslernen und Selbstwirksamkeit gehen, das sollte eine viel größere Rolle spielen im schulischen Konzept. Reformen sind nötig, die Digitalisierung und die aktuellen Entwicklungen in der Welt stellen gewaltige Herausforderungen dar, für die wir andere Konzepte brauchen. Es wäre wichtig, dass mehr Wert auf Demokratiebildung gelegt wird und dass mehr Schülerinnen und Schüler Erfahrungen im bürgerschaftlichen Engagement sammeln.

 

„Den Stundenplan entsprechend gestalten“

Sarah Menne unterrichtet Englisch und evangelische Religionslehre an der Hannah-Arendt-Gesamtschule in Soest. Ihre Schülerinnen und Schüler engagieren sich direkt aus dem Fachunterricht heraus.

Was ist für Sie das Besondere am Service Learning, wo liegt für Sie der Mehrwert gegenüber anderen Unterrichtskonzepten?

Die Hannah-Arendt-Gesamtschule Soest setzt auf Projektarbeit. In sozialgenial-Projekten können die Schülerinnen und Schüler theoretisch erworbene Fähigkeiten lebensnah umsetzen. So gewinnt das Erlernte Bedeutung für die eigene Lebenswelt. Zu einer reformpädagogisch orientierten Gesamtschule zählt das Lernen mit Kopf, Herz und Hand. Diesen Leitsatz unterstützt Service Learning auf ganzer Linie. In einem Verbund engagierter Kolleginnen und Kollegen führen wir bei sozialgenial die Schülerinnen und Schüler herkunftsunabhängig an soziales Engagement heran und begleiten sie dabei.

Sie setzen Service Learning im Fachunterricht um, wie gelingt es Ihnen, die dafür nötigen zeitlichen Freiräume zu finden?

Möglich ist dies durch die Unterstützung derer, die den Stundenplan gestalten: Mein Kurs, der evangelische Religionsunterricht, findet nachmittags statt, sodass sich die Schülerinnen und Schüler in der Unterrichtszeit bei außerschulischen Partnern wie dem Café Kränzchen engagieren können. Hervorheben möchte ich die Unterstützung der Schulleitung, die die Lernenden und Fachlehrerinnen produktiv und aufrichtig bei den organisatorischen Herausforderungen berät.

Wie müsste sich Schule verändern, damit Service Learning zur Selbstverständlichkeit wird?

Das System Schule sollte Schülerinnen und Schüler bestmöglich dabei unterstützen, autonom ihre Wege zu gehen. Aber nicht nur das Verfolgen eigener (schulischer) Ziele sollte Berücksichtigung finden, sondern auch das Wahrnehmen sozialer Pflichten – und das so früh wie möglich. Ich bin sehr dankbar und stolz, dass unserer Schulgemeinschaft dies gelingt, indem durch das Service Learning im Fachunterricht Projekten wie dem Café Kränzchen in Soest Raum und Zeit gegeben wird.

Interviews: Sonja Beckmann, Stiftung Aktive Bürgerschaft

, Ausgabe 251 Januar 2024, Fokus